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„Sehen Sie, Substanzen einfach so zu untersuchen wie heute der Chemiker untersucht, führt nie dazu, die Weltenaufgabe der Substanzen zu erkennen."

Rudolf Steiner, 1924

Anthroposophie

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Erfahrungen mit der
Anthroposophischen Medizin

 

Rudolf Steiners Anthroposophie kam erst spät in mein Leben, genauer gesagt, im Jahr 2013. Im Gespräch mit einer Medizinstudentin erfuhr ich von der anthroposophischen Medizin. Rasch wurde mir klar, dass es sich hier um eine Medizin mit stark spirituellen Aspekten handelt. Der Mensch wird nicht nur in seiner Körperlichkeit gesehen, sondern als Geistwesen, das einen physischen, ätherischen und astralen Leib hat. Wichtig für die Behandlung ist die Biografie, die karmischen Hintergründe und die Signatur, das Bild der Krankheit.

Mit Staunen erfuhr ich von der Gesellschaft Anthroposophischer Medizin in Österreich – GAMÖ – und der Möglichkeit einer Ärzteausbildung, deren Motto ist: „Medizin menschlicher machen“. Unter anderen findet sich darin die „Schulung der Wahrnehmungsfähigkeiten in Bezug auf Patienten, Heilmittel und Naturprozesse“ und „Erwerb integrativmedizinischer Kenntnisse, welche die physisch-lebendigen und seelisch-geistigen Dimensionen des Menschen gleichermaßen miteinbeziehen“. Sogleich meldete ich mich für den ersten Kurs an und war begeistert, als von Karma, Wiedergeburt und der tieferen Bedeutung von Krankheiten die Rede war.

Ich nahm auch an einigen Seminaren des „Forum Anthroposophische Frauenheilkunde“ in Kassel/Deutschland teil und lernte die nette Chefärztin der Paracelsusklinik in Richterswil/Schweiz kennen. Es ergab sich die Möglichkeit, dort für sechs Monate als Stationsärztin auf der Abteilung für Geburtshilfe und Frauenheilkunde zu arbeiten und ich griff sofort zu. Zwar musste ich dafür meine Praxis schließen und auch den Standort in der Althanstrasse aufgeben, aber das war es mir wert.

Neben der sehr interessanten Arbeit in der Klinik war auch das Leben in der Schweiz eine Erfahrung, die ich nicht missen will.

In der Klinik arbeiteten neben den üblichen Berufsgruppen auch zwei Heileurhytmistinnen, zwei Kunsttherapeutinnen und Masseure mit Erfahrung in rhythmischer Massage. Jeden Morgen traf sich der Teil der Belegschaft, der es zeitlich schaffte, zum Morgenkreis, wo ein Lied gesungen wurde und ein kleiner Austausch über die Geschehnisse beim vergangenen Nachtdienst stattfand. So schön, diese Lieder am Morgen! „Über meiner Heimat Frühling“ ist eines davon – und diese wunderbaren Stimmen der Kollegen und Kolleginnen!

Wie war nun die medizinische Arbeit und was unterschied sie von der in anderen Spitälern? Zum einen wurde durchaus die übliche Schulmedizin praktiziert, die üblichen diagnostischen Maßnahmen und Therapien, doch zusätzlich gab es die ganzheitlichen Methoden: Heileurhythmie, Musiktherapie, Mal- und Gestaltungstherapie, Bädertherapie und Rhythmische Massage, die Biographiearbeit und die Anwendung anthroposophischer Heilmittel wie zum Beispiel die Misteltherapie bei onkologischen PatientInnen.

Nie werde ich die Verabschiedungen vergessen: wenn ein Patient im Spital verstorben war, wurde er oder sie in einem speziellen Raum im Untergeschoß aufgebahrt und am nächsten Tag kamen die Ärzte, Krankenschwestern, die sich frei machen konnten, um die Seele aus diesem Leben zu verabschieden. Dies geschieht auch, um es den Mitarbeitenden zu erleichtern, den therapeutischen Prozess mit diesem Menschen abzuschließen und sich von ihm zu verabschieden. Die Verwandten sind eingeladen, dabei zu sein und sind meist sehr gerührt und dankbar. Die Mitarbeitenden singen ein bis zwei Lieder, jemand rezitiert ein Gedicht und schildert etwas Einzigartiges dieses Menschen.

Plötzlich wird die Oberärztin zur Priesterin und ich kann die Tränen nicht unterdrücken. Eine Seele wird in der anderen Welt empfangen.

Ich stellte fest, dass Rudolf Steiner (1861 – 1925) vor mehr als hundert Jahren die Grundlage für viele heute selbstverständlicher psychophysischer Tools gebracht hat wie Selbsterfahrung, Supervision, Teambuilding, Psychotherapie, Trauerbegleitung und Stressmanagement. Die genaue Einhaltung der von ihm eingeführten Formen scheint mir nicht unbedingt zeitgemäß zu sein und ich bin sicher, er würde heute nicht mehr dieselbe Sprache und dieselben Werkzeuge verwenden.

Auch die Erkenntnisse der Frauenbewegung und der Friedens- und Konfliktarbeit haben meines Ermessens noch nicht so richtig Einzug gehalten in die anthroposophische Welt – aber ich muss betonen, dass ich nur einen kleinen Einblick in dieselbe machen durfte und dies keine Abwertung der Lehre Steiners sein soll. Im Gegenteil, ich bin sicher, er hat der Welt einen großen Schatz an Wissen und Weisheit geschenkt, und wer sich diesem zuwendet kann zu hohen Erkenntnissen kommen!

Steiner hat ja nicht nur die Medizin erweitert, er hat sich der Pädagogik gewidmet, der Landwirtschaft, der Kunst, der Philosophie, der Religion, der Architektur, der Pharmazie – und wohl noch so manches, was ich nicht weiß.

Steiner gründete die Anthroposophischen Gesellschaft, nachdem er zuerst Mitglied der Theosophischen Gesellschaft war, die wiederum auf Madame Blavatsky zurückgeht.

Aus seiner Lehre sind die Waldorfschulen hervorgegangen, der Demeter Landbau, die Christengemeinschaft, die Gründung der Heilmittelfirmen Wala und Weleda, es wurde das Goetheanum in Dornach/Schweiz nach Steiners Entwürfen erbaut und etliche Häuser rundherum, die sehenswert sind.

In seinem Buch „Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst“ fand ich zahlreiche Inspirationen und Bestätigungen meiner eigenen Erkenntnisse aus vielen Jahren ärztlicher Tätigkeit. Und was den ärztlichen Beruf betrifft und wer ihn ergreifen soll, stimme ich völlig mit Steiner überein, der sagte: „Arzt werden sollte nicht so aufgefasst werden, wie man es heute auffasst, in einen Beruf hineinzukommen. Sondern Arzt werden sollte man eigentlich durch innere Berufung, durch innere Hingabe an das Heilen… Es ist vielleicht bei wenigen Berufen so schädlich, wenn man den Beruf als äußere Verpflichtung auffasst, wie gerade beim Arztberuf.

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